Gendersprache, schlechte Sprache

Über sprachliche Fehlinterpretation

Neulich bin ich auf einer Webseite auf ein Angebot «für Benutzer*innen» gestossen. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Glob-Pattern, worauf der Asterisk schliessen lassen könnte, sondern wohl um ein Gendersternchen. (In der Linguistik wird dieses Zeichen zur Kenntlichmachung von ungrammatischen Konstrukten verwendet. Die Ironie dieses Zufalls dürfte im weiteren Verlauf des Artikels deutlich werden.)

Was soll nun dieses Gendersternchen bewirken? Es kürzt das umständlichere «für Benutzer und Benutzerinnen» ab. Oder war es «für Benutzerinnen und Benutzer»? Wie auch immer die Reihenfolge gewählt wird: der Gebrauch dieses Konstrukts geht auf ein Missverständnis zurück, nämlich dass mit «Benutzer» immer eine männliche Person gemeint ist. Schliesslich hat das Wort ja den bestimmten Artikel «der». Um zu zeigen, dass es sich hier um ein Missverständnis handelt, betrachten wir folgenden Satz:

Der Benutzer ist jemand, der eine Anwendung benutzt.

Nun formulieren wir den Satz um, ohne dessen Bedeutung zu ändern:

Der Benutzer ist eine Person, die eine Anwendung benutzt.

Der Benutzer kann also die Person sein. Folgt man der Argumentation hinter dem Gendersternchen, nämlich dass «der Benutzer» sich auf ein männliches Individuum bezieht, müsste sich «die Person» auf eine Frau beziehen. Wie kann denn nun ein Subjekt gleichermassen männlich und weiblich sein?

Die Antwort ist einfach: die deutsche Sprache unterscheidet zwischen einem grammatischen Geschlecht (Genus) und einem natürlichen oder biologischen Geschlecht (Sexus). So kann «der Benutzer» durch «der Mensch», durch «das Individuum» und durch «die Person» ersetzt werden. Natürlich lässt sich «der Benutzer» auch durch Namen ersetzen. Angenommen, Maria und Martin sind Benutzer, wären die folgenden Sätze grammatikalisch korrekt:

Maria ist eine Person, die eine Anwendung benutzt.

Martin ist eine Person, die eine Anwendung benutzt.

Maria ist ein Mensch, der eine Anwendung benutzt.

Martin ist ein Mensch, der eine Anwendung benutzt.

Maria ist ein Individuum, das eine Anwendung benutzt.

Martin ist ein Individuum, das eine Anwendung benutzt.

Somit kann «der Benutzer» sowohl männliche als auch weibliche Personen bezeichnen. Dies gilt jedoch nicht für «die Benutzerin», die sowohl grammatisch weiblich ist, als auch eine Person natürlichen weiblichen Geschlechts bezeichnet.

Ob jedoch mit «der Benutzer» nur das grammatische oder auch das natürliche männliche Geschlecht gemeint ist, verrät uns nur der Kontext. Wenn sich nun das eingangs erwähnte Angebot, das sich an «Benutzer*innen» richtet, sich bloss noch an «Benutzer» richten würde, wäre eine Interpretation nötig. Ist hier das grammatische oder das natürliche männliche Geschlecht gemeint?

Das Substantiv «Benutzer» ist vom Verb «benutzen» abgeleitet. Es bezeichnet eine Person, die etwas benutzt. Gleichermassen ist ein «Programmierer» eine Person, die programmiert, und ein Helfer eine Person, die hilft. Ein Wissenschaftler ist eine Person, die Wissenschaft betreibt, und ein Fussballer spielt ganz einfach Fussball. Das natürliche oder biologische Geschlecht der Person (der Sexus), welche diese Handlung verrichtet, ist bei dieser Wortbildung weder relevant, noch analytisch daraus erfahrbar.

Im Englischen funktioniert die Substantivbildung aus Verben durch Hinzufügen der Wortendung «er» ebenfalls: A player is a person that plays a game. Der bestimmte Artikel «the» impliziert jedoch keinen Genus, wodurch auch niemand auf die Idee kommen würde, daraus auf den Sexus zu schliessen.

Ich denke, dass die meisten Leute bei einem Online-Angebot «für Benutzer» den Kontext dahingehend interpretieren können, dass sich die männliche Form hier nur auf das grammatische und nicht auch auf das natürliche Geschlecht bezieht. Warum sollte denn eine Online-Plattform ca. die Hälfte der potentiellen User ‒ ein Ausweichen auf Englisch ist hier herrlich bequem, und dürfte für den inflationären Gebrauch von Anglizismen mitschuldig sein ‒ von seinem Angebot ausschliessen? (Vielleicht weil es ein Webseitenbetreiber, und keine Webseitenbetreiberin ist? Doch ich drifte in Sarkasmus ab…) Wer es für nötig empfindet, sein Zielpublikum mit «Benutzer*innen» anzusprechen, spricht diesem die entsprechende Interpretationsfähigkeit implizit ab. (Ein ähnliches Phänomen ist bei der sogenannten leichten Sprache zu beobachten, bei der man sich als Leser so vorkommt, als ob man von oben herab wie ein Kind angesprochen werde.) Somit empfinde ich den Gebrauch gendergerechter Sprache als bevormundend, ja herablassend.

Um zu der Fehlinterpretation zu gelangen, dass mit dem Wort «Benutzer» Frauen ausgeschlossen sind, muss man schon eine ganz dicke Genderbrille aufgesetzt haben, welche die kontextsensitive Interpretation von Sprache erschwert. Wer hinter jedem «der» eine patriarchalische Unterdrückungsstruktur wittert, dürfte ohnehin Schwierigkeiten haben, Alltagsformulierungen pragmatisch aufzufassen. Natürliche Sprache ist ambivalent und muss zwecks Verständnis wohlwollend interpretiert werden. Wer käme denn auf die Idee, einem Sprecher beim Gebrauch der Wörter «Sonnenuntergang» und «Sonnenaufgang» die Anhängerschaft an das ptolemäische Weltbild zu unterstellen? (Und wieder drifte ich in Sarkasmus ab… Ob es wohl am Thema liegt?)

Wer mit der Genderbrille durch die Welt gehen will, der darf das von mir aus tun. Ich möchte das nicht. So ist meine Konsequenz des vorher geschilderten Zusammenhanges, dass ich keine gendergerechte Sprache verwende. Wer Formulierungen wie «Benutzer*innen» verwenden möchte, darf das gerne tun. Ich halte es bloss für umständlich und bevormundend. (Dass ich die als Informatiker beim Asterisk zunächst an ein Glob-Pattern denke, ist eine Berufskrankheit. Ich kann den Kontext jedoch dahingehend interpretieren, dass hier eben kein Glob-Pattern gemeint ist. Auch kann ich bei der Bezeichnung «der Benutzer» kontextsensitiv interpretieren, dass hier mit dem bestimmten Artikel «der» nur das grammatische und nicht das natürliche Geschlecht gemeint ist.)

Sprache ist die Interpretation von Zeichen auf verschiedenen Ebenen. Durch das Explizitmachen von natürlichen Geschlechtern durch Gendersternchen gewinnen wir höchstens, dass eine verschwindend geringe Menge von Missverständnissen ausgeräumt wird; Missverständnisse, die durch eine pragmatische Lesart gar nicht auftreten würden. (Oder kann mir jemand von einer Informatikerin berichten, die auf einem Computer über Administratorenrechte verfügt, sich aber unter der Bezeichung «Administrator des Computers» nicht angesprochen fühlt?) Die Notwendigkeit von Interpretation könnte in diesem Sinne noch weiter reduziert werden, indem man etwa auf Metaphern oder sprachlich ambivalente Figuren aller Art verzichten würde. Dies mag für bestimmte Textarten sinnvoll, ja notwendig sein: etwa bei Gesetzestexten, Verträgen oder technischen Dokumentationen. Im Alltagsgebrauch oder für den vorliegenden polemischen Text führte eine solche Einschränkung jedoch nur zu einer Verarmung der Sprache.

Gendersternchen («Benutzer*innen») und Binnen-I («BenutzerInnen») funktionieren zudem nicht zufriedenstellend mit allen Fällen. Die Formulierung «der Anmeldezeitpunkt des Benutzers» (Genitiv) müsste gendergerecht und syntaktisch/grammatikalisch korrekt etwa als «der Anmeldezeitpunkt der Benutzerin bzw. der Anmeldezeitpunkt des Benutzers» formuliert werden. Varianten mit Gendersternchen oder Binnen-I funktionieren nicht («der Anmeldezeitpunkt der/des Benutzer*in») oder verkommen zu einer syntaktischen Monstrosität («der Anmeldezeitpunkt der/des Benutzer(in/s)»). In der Praxis werden solche Formulierungsprobleme mit dem Verzicht auf den Genitiv umgangen. Die Sprache verliert weiter an Ausdrucksstärke und Variantenreichtum.

Ein weiteres Problem an «gegenderter» Sprache ist, dass Formulierungen wie «Helferinnen und Helfer» explizit ein natürliches Geschlecht suggerieren, wo dieses nicht relevant ist. Da «Helferin» immer biologisch weiblich ist, gewöhnt sich der Leser durch diese Nebeneinanderstellung zum «Helfer» zusehends an die Interpretation, das bei letzterem das männliche biologische Geschlecht gemeint sein muss. Da man weibliche oder sachliche Wörter wie «Person» oder «Individuum» nicht durch Hinzufügen oder Weglassen einer Silbe «gendern» kann, wird das grammatische Maskulinum zusehends sexualisiert, was hingegen bei Femininum und Neutrum nicht geschieht.

Apropos Anglizismen: Wer denkt, wie ich es weiter oben angesprochen habe, man könne dem Gendersternchen entgehen, indem man das deutsche Wort «Benutzer» durch das englische Wort «user» ersetzt, für den habe ich schlechte Nachrichten! Immer häufiger sehe ich die Bezeichnung «User*innen», naturgemäss nur auf deutschsprachigen Webseiten. Gibt es im Englischen keine verräterischen bestimmten Artikel, verliere ich diese nützliche Ambivalenz beim Übersetzen ins Deutsche. (Daher kommt es, dass englische Lehnwörter wie «Blog» von verschiedenen Leuten mit unterschiedlichen bestimmten Artikeln bezeichnet werden: «das Blog» und «der Blog» sind beide anzutreffen.) So mache ich mir das Schreiben einfacher, indem ich sowohl auf Gendersprache als auch auf das Umschwenken von geschlechtsneutralen Anglizismen verzichte. (Um Anglizismen komme ich als Informatiker ansonsten kaum herum.)

Germanisten und Linguisten mögen meine obige Argumentation gerne zerpflücken. Ich bin gerne dazu bereit, etwas neues zu lernen. Wie viel Ambivalenz und Interpretationsspielraum ‒ sei es durch das Weglassen von Gendersternchen oder durch das Beifügen von sprachlichen Figuren ‒ ich meinen Lesern zumute, ist jedoch meine persönliche Entscheidung. So bin ich in dieser Beziehung konservativ, zumal ich hinter dem sogenannten progressiven Anpassungsdruck, der auf unsere Sprache ausgeübt wird, mehr Tendenzen zu einem Neusprech als eine sprachliche Bereicherung erkenne. Sprachliche Figuren oder Gendersternchen: beides habe ich nicht im Angebot.